Mobilitätsgespräch 2023: Mobilitätsgarantie

Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Mobilitätsgarantie bedeutet ein Mindestmaß an Mobilität, ohne Abhängigkeit vom persönlichen Autobesitz. Um dieses Ziel zu erreichen, sind alle Gruppen der Gesellschaft einzubeziehen – dazu zählen unter anderem ethnische Gruppen, Frauen, inter- und transgeschlechtliche Menschen, Menschen mit Behinderung(en). Es braucht mehr Rücksichtnahme, Inklusivität und einen Paradigmenwechsel. Als Beispiel eines Paradigmenwechsels gelten Luxemburg und einige Kommunen Estlands, in denen deren Bürger:innen seit einigen Jahren gratis mit dem Öffentlichen Verkehr fahren können.

Über die notwendigen Schritte zur Mobilitätsgarantie und die Rolle einer inklusiven Mobilitätsplanung diskutierten am Donnerstag, den 12. Jänner 2023 fünf Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis mit dem Auditorium. Die interaktive Town Hall-Diskussion wurde von Karin Bauer, Ressortchefin Der Standard, moderiert.

Traude Kogoj, Leiterin Inclusion&Diversity bei den ÖBB, und Ulla Rasmussen, VCÖ-Geschäftsführerin, machten gleich zu Beginn darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, im Austausch zu sein, Pilotprojekte zu starten und unterschiedliche Perspektiven zu betrachten, um von der stark autoabhängigen zu einer multimodularen Mobilität zu kommen. 

Die VCÖ-Expertin Lina Mosshammer führte zu Beginn der Veranstaltung das Publikum in ihrer Keynote auf eine spannende Reise, auf den Weg zu einer klimaverträglichen Mobilitätsgarantie.  Visionen wurden veranschaulicht und bereits umgesetzte Projekte wie in Baden-Württemberg vorgestellt. Damit verdeutlichte Mosshammer, dass eine Mobilitätsgarantie sehr wohl möglich ist. Sie wies darauf hin, dass die Energiewende allein nicht ausreichen wird, um die nationalen Klimaziele für den Verkehrssektor zu erreichen. Zudem unterstrich sie, dass Mobilität auch eine Gewohnheit ist und diese durchbrochen werden muss. 

Unter der Moderation von Karin Bauer diskutierten fünf Frauen aus unterschiedlichen Bereichen im Verkehrswesen, Post-Wirtschaftswachstums- und Migrationsforschung.  Über 65 Menschen verfolgten die Diskussion und konnten selbst durch Fragen und Anregungen Teil des Gesprächs werden. Durch die Mitgestaltung der Zuhörenden konnten noch mehr Perspektiven in die Diskussion betrachtet werden.  Wie Karin Bauer es schön formulierte: „Ihr seid Mitgestalter:innen.“ 

„Menschen sind bereit sich zu verändern. Kommen wir ins Tun & nützen wir die Vielfalt.“ – Lina Mosshammer

Eine Änderung der Struktur, ein vielseitiges Angebot, Umsetzungsstrategien, Finanzierungsmöglichkeiten und Kostenwahrheit sind für eine Veränderung notwendig. In der Gesprächsrunde machte die VCÖ-Expertin Lina Mosshammer deutlich, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine klimaverträgliche Mobilität ändern sollten.  Beispielsweise könnte innerorts das Tempo 30 als Regel und nicht als Ausnahme gesetzlich festgelegt werden. Mit neuen rechtlichen Rahmenbedingungen kann eine Grundlage für Veränderung in Richtung klimaverträgliche Mobilität geschaffen werden. 

Postbus-Vorständin Silvia Kaupa-Götzl wies darauf hin, dass die Möglichkeiten der Finanzierung bei der Umsetzung einer flächendeckenden Mobilitätsgarantie in Österreich mitbedacht werden muss. Es ist wichtig, über Grundtakte des Öffentlichen Verkehrs sowie Mindeststandards beim Angebot nachzudenken und regional angepasste Lösungen auszuarbeiten. Sie unterstrich die Wichtigkeit, dass die Gesellschaft in Zukunft öfter aktiv unterwegs sein sollte. Und wir müssen mehr über den Bus sprechen, denn ohne den Bus ist die Verkehrswende nicht machbar.

„Wir müssen anfangen, über die alltägliche Mobilität zu reden und diese in den Fokus zu rücken.“ – Silvia Kaupa-Götzl

Kaupa-Götzl machte speziell auf den regionalen Unterschied beim Mobilitätsangebot aufmerksam.  Es gibt immer noch Menschen, die abgeschnitten von der Mobilität sind. Dieser Lücken im Mobilitätsangebot sind zu schließen. Die Postbus-Chefin unterstrich zudem die Wichtigkeit der sektoralen Planung. 

In der Gesprächsrunde betonte BMK Sektionsleiterin Vera Hofbauer ausdrücklich, dass der Zersiedelung am Land entgegengewirkt werden muss. Der Verkehr ist kein Selbstzweck und kann somit nicht losgelöst vom Aspekt der Arbeit betrachtet werden. Vor allem die letzten Kilometer sind in Regionen oft eine große Herausforderung. Klimaschädliche Förderungen sollten überdacht werden und neue klimaverträgliche Lösungen müssen umgesetzt werden.  Umso wichtiger sei der Austausch mit der Bevölkerung und Unternehmen.  Vera Hofbauer erklärte auch, dass die EU eine zentrale Rolle spiele. Oft ist eine Veränderung mit europäischem Druck leichter umzusetzen. 

„Gemeinsam geht man weniger Irrwege.“ – Vera Hofbauer

Migrationsforscherin der Wirtschaftsuniversität Wien Judith Kohlenberger unterstrich die Dringlichkeit, auf alle in Österreich lebenden Menschen in der Planung und Umsetzung von Mobilitätsangeboten einzugehen.

„Die Diversitätskompetenz muss in Österreich gesamtgesellschaftlich ausgebaut werden.“ – Judith Kohlenberger

Kohlenberger verdeutlichte, dass Menschen mit Migrationshintergrund auf vielen Ebenen im Verkehrssystem unterrepräsentiert sind. Politische Hürden müssen überwunden werden und geopolitische Fragen geklärt. Zudem machte Judith Kohlenberger darauf aufmerksam, dass Mobilität auch eine Verteilungsfrage ist. Viele Menschen können sich bestimmte Arten der Mobilität gar nicht leisten. Auch Probleme der Kommunikation wurden von der Migrationsforscherin aufgegriffen. Beispielsweise wies sie in der Gesprächsrunde auf die unzureichende Information des Mobilitätsangebot in mehreren Sprachen hin. 

Sozioökonomin der Wirtschaftsuniversität Wien Corinna Dengler legt den Fokus auf die die soziale Gerechtigkeit. Dafür müssen wir auch weg von einem Denken, in dem der Mann als Norm gesehen wird- wie zum Beispiel beim Kfz-Verkehr.

„Wir dürfen nicht bei dem Ziel beginnen, sondern beim Ausgangspunkt.“ - Corinna Dengler

Anstatt neue Infrastruktur für den Kfz-Verkehr zu bauen, müsste der Fokus auf öffentlichem Verkehr liegen und bestehende Infrastruktur umgenutzt werden. Das ist ganz im Sinne von Degrowth bzw. Postwachstum, das ebenfalls einen Fokus auf die Mobilitätswende legt. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um mehr Zeit für soziale Beziehungen, die zu höherem subjektiven Wohlbefinden beitragen können. Ebenso geht es nicht darum, eine systemische Krise auf individueller Ebene zu lösen, sondern um eine Re-Politisierung des guten Lebens für Alle - dafür braucht es inter- und transdisziplinäre Forschung ebenso wie soziale Protestbewegungen.

Im Laufe des Gesprächs wurde mehrmals betont, dass es für eine klimaverträgliche Mobilitätsgarantie schon in der Planung alle in Österreich lebenden Menschen berücksichtig werden müssen und es Zusammenarbeit auf interdisziplinärer und internationaler Ebenen benötigt. Zudem muss es die Gesellschaft schaffen, ihre Gewohnheiten bezogen auf den Autoverkehr zu durchbrechen. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen sich ändern, um die Mobilitätswende zu unterstützen.

Die Mobilitätsgespräche zu interessanten und zukunftsgerichteten Themen fanden heuer bereits zum fünften Mal statt und sind eine Kooperation von ÖBB Inclusion&Diversity und VCÖ – Mobilität mit Zukunft.