
Namhafte Expert:innen diskutierten mit Kolleg:innen aus dem gesamten Konzern über Menschenrechte, interkulturelles Miteinander und neue Perspektiven im Umgang mit Diversität.
Traude Kogoj, Leiterin des Lösungscenter Inclusion & Diversity bei den ÖBB, eröffnete die Veranstaltung mit einem klaren Appell: Die vielfältigen Erfahrungen aus unterschiedlichen Projekten sollen genutzt werden, um Diversität nachhaltig im gesamten ÖBB Konzern zu verankern – auch über Ländergrenzen hinweg. Denn: Internationalität ist ein zentraler Teil unserer Unternehmensrealität, wird im Inland aber oft übersehen.
Bettina Castillo, Vorständin der Rail Cargo Group, hob in ihrer Begrüßung die Bedeutung von Anerkennung und Wertschätzung unterschiedlichen Kulturen bei den ÖBB hervor. Kolleg:innen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen können viel voneinander lernen. Vielfalt stärkt Teams – das ist wissenschaftlich belegt, braucht jedoch auch Mut: Mut zur Veränderung, zum offenen Gespräch und zur ehrlichen Reflexion eigener Vorurteile.
Menschenrechte als Fundament für Vielfalt
Einen eindrucksvollen Impuls lieferte Shams Asadi, Menschenrechtsbeauftragte der Stadt Wien. Sie betonte die enge Verbindung zwischen Menschenrechten und Diversität. Wien versteht sich seit 2014 offiziell als Menschenrechtsstadt – eine Selbstverpflichtung, die auf fünf zentralen Prinzipien beruht und seitdem vom Menschenrechtsbüro unter ihrer Leitung mit Leben gefüllt wird. Die Grundlage dieser Arbeit bildet ein menschenrechtsbasierter Ansatz, der auf vier Säulen basiert: Diskriminierungsfreiheit und Chancengleichheit, Teilhabe und Partizipation, Transparenz und Rechenschaftspflicht. Diese Prinzipien sind entscheidend, um Vielfalt aktiv zu fördern und Vertrauen in demokratische Prozesse zu stärken. In der Praxis bedeutet das etwa Zugang zu Bildung, Gesundheit, sozialem Wohnbau und Schutz vor Gewalt – auch für besonders vulnerable Gruppen wie Frauen, LGBTQ-Personen oder junge Geflüchtete.
Was hat Vielfalt mit Menschenrechten zu tun?
Vielfalt beginnt dort, wo Menschenrechte gelebt werden – durch faire Teilhabe und Gleichbehandlung aller. In Wien leben heute rund 180 Nationalitäten zusammen, 90 davon finden sich auch unter den ÖBB Mitarbeit:innen. Diese Vielfalt ist ein Gewinn, bringt aber auch Herausforderungen mit sich, etwa in Bezug auf Integration, gleiche Chancen und soziale Gerechtigkeit. Deshalb ist ein kontinuierliches Monitoring der Maßnahmen ebenso wichtig wie Bildung und Empowerment – auch, um bestehende Ungleichheiten etwa in Wohnsituation oder Bezahlung sichtbar zu machen und zu verbessern.
Shams Asadi erinnerte außerdem an die Grundlagen des internationalen Menschenrechtsschutzes – von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) über die Europäische Menschenrechtskonvention bis hin zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Mit Projekten wie den „Menschenrechtsbezirken“ will Wien diese Prinzipien konkret im Alltag der Bevölkerung verankern.
Best-Practice: Geschlechterrollen neu denken
Einblicke in praktische Diversitätsarbeit gaben Philipp Leeb (Verein poika) und Nadja Schuster (Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation). Philipp Leeb forscht zu Männlichkeiten und leitet den Verein poika, der mit Kindern und Jugendlichen aller Geschlechter arbeitet. Ein zentrales Anliegen ist die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlich konstruierten Bildern von Männlichkeit – insbesondere mit Blick auf Unterschiede zwischen österreichischer und „fremd gemachter“ Männlichkeit.
Dabei wird deutlich: Männlichkeit ist kein statisches Konzept, sondern wird im Laufe des Lebens erlernt – etwa im öffentlichen Raum, in der Kirche oder im sozialen Umfeld. Vor allem bei geflüchteten Männern zeigen sich oft belastende Erfahrungen, etwa durch Krieg, Vertreibung oder rassistische Diskriminierung. Philipp Leeb spricht in diesem Zusammenhang auch über die Prägung durch Gewalt, Rollenbilder und den Einfluss von Pornografie, Sexualität und Rassismus.
Was unterscheidet das Gender-TANDEM-Training von anderen Angeboten im Inklusionsbereich?
Nadja Schuster, Soziologin und Gender-Expertin beim VIDC Global Dialogue, berichtete von der Entstehung des Gender-TANDEM-Trainings. Dieses Training zielt darauf ab, Männer und Frauen aus migrantischen Communities für Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen und ihnen Werkzeuge in die Hand zu geben, um über Kosten und Nutzen von Geschlechterkonstruktionen zu reflektieren.
Auslöser war die sogenannte Flüchtlingswelle 2015. Gemeinsam mit syrischen und afghanischen Vereinen entwickelte sie dieses Trainingsmodell, das seither erfolgreich umgesetzt wird. Bereits seit 2010 lag ein inhaltlicher Schwerpunkt auf Maskulinitäten. In Kooperation mit der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit arbeitete das VIDC zunächst mit Männern – später kamen auch geflüchtete Frauen dazu. Seit 2020 wird das TANDEM-Training explizit auch für Frauen angeboten, die auch selbst TANDEM-Trainings leiten möchten.
Shokat Walizadeh, Gründer und Geschäftsführer des afghanischen Vereins NEUER START, wo er das Projekt Barabari leitet, berichtete über die positiven Auswirkungen des Gender-TANDEM-Trainings auf die Teilnehmenden: Die Teilnehmenden lernen viel voneinander, alle kommen zu Wort und fühlen sich gehört, Stress und Belastungen nehmen ab – und neue Freundschaften entstehen.
Mut zum Optimismus
Eine neue Haltung forderte der Urbanist und Mitbegründer der politischen Kulturgruppe Whoosh Eugene Quinn: rebellischen Optimismus. In Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen braucht es Hoffnung und positive Visionen – auch, um soziale Veränderungen aktiv mitzugestalten.
Tricky Realities – Vielfalt im Kurzfilm
Einen künstlerischen Blick auf das Thema boten ausgewählte Kurzfilme des Animationsfilm-Festivals Tricky Women / Tricky Realities, in denen Themen wie Flucht, Kriegserfahrungen und Identität eindrucksvoll visualisiert wurden.
Netzwerk Mosaik
Zum Abschluss berichtete Naomi Ossai vom Netzwerk Mosaik, das im Dezember 2024 ins Leben gerufen wurde – mit dem Ziel, den interkulturellen Dialog bei den ÖBB zu fördern. Denn nur wenn wir einander wirklich zuhören, erkennen wir, was Menschen bewegt – und können Vielfalt im Konzern gemeinsam sichtbar und wirksam gestalten.
Kulinarische Vielfalt zum Ausklang
Beim anschließenden Get-together wurde Vielfalt auch geschmacklich erlebbar: Kolleg:innen hatten Rezepte aus aller Welt mitgebracht, die vor Ort gemeinsam verkostet wurden – ein weiterer Beweis dafür, wie bereichernd Offenheit und Austausch sein können.